Wieso kommt es nach der Bestrahlung von Tumoren zu Rückfällen?

30.07.18. Priv.-Doz. Dr. Frédéric Santer

Bestrahlung ist neben der Chemotherapie eine der gängigsten Behandlungen bei Gewebstumoren. Dabei wird das Tumorareal des Patienten in sogenannten Linearbeschleunigern (LINAC) mit Röntgen-Wellen täglich für einige Wochen bestrahlt. Die Bestrahlung führt zu Gewebs- und Zellschäden, u.a. wird die genomische Information (DNA) in den Krebszellen verändert, so dass die Zelle nicht mehr überlebensfähig ist und die „Zellleiche“ vom Immunsystem eliminiert wird. Auch wenn diese Therapieart gute Erfolge in der Krebsbehandlung zeigt, kommt es doch immer wieder zu Rückfällen. D.h. ein erneutes Wachstum des Tumors kann nach dem Therapieende beobachtbar sein – man spricht von einem Rezidiv und Radioresistenz des Tumors.


In meiner Arbeitsgruppe an der Abteilung für Experimentelle Urologie (Univ.-Klinik für Urologie, Medizinische Universität Innsbruck) wollten wir die genaueren Hintergründe für diese Radioresistenz erforschen, dies bei Zellen welche wir aus dem Gewebe von Prostatakrebspatienten gewonnen hatten. Folgende Überlegung lag unserem Forschungsvorhaben zu Grunde: Wenn es zu Rezidiven nach der Bestrahlungstherapie kommt, muss es Tumorzellen geben, welche die Bestrahlungsprozedur überlebt haben. Das heißt, es muss Zellen geben, welche unempfindlich(er) auf die Bestrahlungsprozedur reagieren und vermutlich nur in geringer Anzahl vorliegen. Daneben gibt es Zellen, welche empfindlich auf die Bestrahlung reagieren, einen großen Anteil an der Gesamtzellpopulation haben und in der Folge absterben. Erstere, unempfindliche Zellen, sind also jene Zellen, welche das Rezidiv verursachen und ergo jene Zellen, welche uns interessieren. Wie aber können wir die unempfindlichen Zellen von den empfindlichen trennen, damit wir sie analysieren können? Dazu haben wir uns folgendes Experiment überlegt: Wir unterwerfen unsere Prostata-Zellkulturen einem Bestrahlungsprotokoll das ähnlich aufgebaut ist wie bei Patienten, d.h. 5x/Woche über einen Zeitraum von 4 Wochen (siehe dazu Bild 1). Durch diese Prozedur wurden die empfindlichen Zellen abgetötet, et voilà – es bleiben die Bestrahlungs-unempfindlichen Zellen übrig. Um nun diese Zellen genauer zu analysieren und Hinweise auf die Bestrahlungs-Unempfindlichkeit zu erhalten, haben wir das Genexpressionsmuster bestimmt, also jener kodierenden Erbinformation, die bestimmt, welche Proteine in der unempfindlichen Zelle gebildet werden. Der Fachterminus für diese Analyse heißt RNA-Sequenzierung, wobei einerseits der Code der Erbinformation bestimmt wird, andererseits die Anzahl der vorliegenden Moleküle. Durch Computer-gestützte Analyse kann man somit Veränderungen im Muster der Genexpression gegenüber nicht-bestrahlten Zellen gewinnen. Überraschend für uns war, dass wir gleich zwei Muster entdecken konnten, welche die Zellen vor der Strahlung schützen könnten:


  1. Wie oben bereits beschrieben, spielt das Immunsystem eine wichtige Rolle beim Eliminieren von toten Zellen, aber auch bereits bei noch lebenden Zellen, welche durch die Bestrahlung geschädigt worden sind. Durch interne Kontrollmechanismen, weiß eine Zelle, dass sie irreparabel durch die Strahlung geschädigt worden ist, und teilt dies mittels Botenstoffe (sogenannte Interferone) an das Immunsystem mit. Dies aktiviert das Immunsystem und die geschädigte Zelle wird „aufgefressen“. Unser Genexpressionsmuster zeigte allerdings, das in unseren Bestrahlungs-unempfindlichen Prostatazellen Moleküle des Interferon-Signalweges sehr gering vorhanden sind. Die Bestrahlungs-unempfindliche Zelle ist also offensichtlich nicht in der Lage diese Botenstoffe zu produzieren und den vorliegenden Schaden an das Immunsystem zu signalisieren. In anderen Wörtern, die Bestrahlungs-unempfindliche Zelle schafft es der Kontrolle des Immunsystems zu entgehen und kann somit überleben.

  2. Bestrahlung verursacht Schäden in der Erbinformation (DNA) einer Zelle. Wenn es zu einer Zellteilung kommt, muss die DNA allerdings ungeschädigt vorliegen, da die Erbinformation in einem „gesunden“ Zustand auf die Tochterzellen übergeben werden soll. Daher gibt es im Lauf der Zellteilung Kontrollmechanismen, welche den Prozess der Teilung so lange unterbinden können, bis sämtliche DNA-Schäden repariert sind – sogenannte DNA-Checkpoints. Das zweite Muster welche wir aufdecken konnten, zeigte dass einige Moleküle dieser Checkpoints ebenfalls verringert exprimiert sind. Wir gehen also davon aus, dass diese Checkpoints in den Bestrahlungs-unempfindlichen Zellen nicht aktiv sind und die Zellen sich teilen, ohne die Reparatur ihrer DNA abzuwarten. Dies führt womöglich zur Akkumulation von DNA-Schäden und zur (weiteren) Entartung der Zelle.


Unsere Erkenntnisse zeigen also, dass die Bestrahlungs-unempfindlichen Zellen durch veränderte Genexpressionsmuster die Fähigkeit besitzen mit Strahlungsdosen umzugehen und zu überleben, während dieselbe Strahlungsdosis für die meisten Zellen tödlich ist. Diese Unempfindlichkeit und die zugrundeliegenden molekulare Mechanismen deuten drauf hin, dass es sich um sogenannte Krebsstammzellen handeln könnte. Dies müssen wir aber in weiterführenden Arbeiten noch experimentell belegen.

Was bedeuten nun diese Ergebnisse für die Bestrahlungstherapie und wie kann man diese Ergebnisse verwenden, um die Therapie zu verbessern, die Rezidiv-Rate zu verringern und somit für den Patienten eine Lebensverlängerung zu erwirken? Gleich vorweg, die Entwicklung einer verbesserten Radiotherapie basierend auf diesen Ergebnissen ist noch in weiter Ferne! Auch wenn diese Ergebnisse sehr interessant sind, sind wir erst am Anfang, die Vorgänge der Radioresistenz zu verstehen. Ob aus diesen Ergebnissen eine Therapie entwickelt werden kann – darüber kann man nur spekulieren! Aus diesem Grund ist es wichtig, dass auch weiterhin in Grundlagenforschung investiert wird. Nur wenn wir im Detail und vollständig verstehen, welche Vorgänge in unserem Körper, in unseren Zellen vorgehen, wird es möglich sein Therapien zu entwickeln, Krankheiten zu heilen oder zumindest in Schach zu halten. Unterstützen Sie daher die Grundlagenforschung – wir brauchen sie genauso wie die industrielle, angewandte Forschung!

https://www.i-med.ac.at/mypoint/news/720310.html